Duisburg, den 21.08.24
Lieber Jörg,
Liebe Eltern,
Liebe Schülerinnen und Schüler,
ich freue mich heute sehr bei euch sein zu können und zusammen mit euch die Eröffnung eurer neuen Schule zu feiern. Ich habe mich grad schon ein bisschen hier umgeguckt und ich muss wirklich sagen, dass ihr euch richtig schick gemacht habt. Vielleicht können wir später ein paar Styling Tipps austauschen. Behaltet euren guten Kleidungsstil bitte bei und macht es nicht so wie ich in meiner ersten Schulwoche. Die erste Woche sah ich noch richtig fresh aus, aber ab der zweiten Woche sah ich so aus, als wäre ich gerade vom Bolzplatz gekommen.
Liebe Schülerinnen und Schüler, ich habe eine Gemeinsamkeit mit euch. Ich bin in Hamborn und vor allem in Obermarxloh aufgewachsen bin. Ich habe hier meine Kindheit und Jugendzeit verbracht und Schule hat in meinem Leben eine sehr große Rolle gespielt.
Ich bin 1987 geboren. In den 80ern gab es eine große Stahl- und Industriekrise in Duisburg. Meine Eltern, und auch die Eltern meiner Freundinnen und Freunde, wollten unbedingt, dass ihre Kinder die beste Bildung bekommen, die man sich vorstellen kann. Durch die Stahlkrise in den 80ern wurden viele Familien im Duisburger Norden in die Armut getrieben und viele Eltern dachten sich damals: Dort, wo es keine guten Jobs mehr gibt, müssen unsere Kinder wenigsten die beste Bildung bekommen, damit sie eine gute Zukunft in dieser Gesellschaft haben.
In der Grundschule war ich ein aufmerksamer Schüler. Ich war aber viel mehr ein neugieriger Junge auf der Straße, weil ich mich immer dafür interessierte, welche Neuigkeiten es gibt, wie unterschiedlich Menschen ihr Leben gestalten und wie ich mich auch in schwierigen Situationen verhalten kann. Wissen gab es nicht nur auf der Schule, sondern vor allem bei uns im Dichterviertel auf der Straße oder im Innenhof – im Kontakt mit sehr, sehr vielen anderen Kindern. Das Leben im Duisburger Norden war für mich so aufregend, dass ich schon als Kind anfing, Tagebuch und Notizen zu schreiben. Ich habe meine Geschichten Freunden vorgelesen, die vor lauter Lachen immer mehr hören wollten. Irgendwann hatte ich den großen Traum, mein eigenes Buch zu schreiben. Ich wusste: Irgendwann halte ich mein eigenes Buch in meinen Händen.
Doch, liebe Schülerinnen und Schüler, vielleicht kennt ihr das persönlich. Ihr habt ein Ziel, ihr habt einen Traum vor Augen und plötzlich steht jemand vor euch, der eure Ziele und eure Träume nicht nur schlecht redet, sie nicht nur klein macht, sondern sie sogar verhindern möchte. Und dieses erste Erlebnis, dass jemand meine Träume verhindern möchte, das hatte ich in der vierten Klasse.
Bei uns im Innenhof waren wir 35 Kinder und viele wollten auf die Gesamtschule oder aufs Gymnasium. Doch alle Kinder in unserer Nachbarschaft haben eine Empfehlung für die Hauptschule oder Förderschule bekommen, weil damals niemand Kindern aus Obermarxloh zutraute, dass sie Talente und Potenziale haben. Für uns und unsere Eltern ist eine Welt zusammengebrochen. Unsere Eltern hatten Angst, dass die Zukunft ihrer Kinder schon in jungen Jahren zerstört wird. Viele von ihnen haben gekämpft, aber am Ende haben es nur zwei Kinder aufs Gymnasium und zwei Kinder auf die Gesamtschule geschafft.
Als Kind dachte ich mir: Wie kann das sein? Warum werden Menschen so unterschiedlich behandelt? Warum passiert das alles? Auf einmal stand ich da: Zwischen meinem eigenen Traum, den ich verwirklichen will – und der brutalen Ungerechtigkeit, die mir und meinen Freunden passierte.
Neben meinen Eltern, die für mich gekämpft haben, hatte ich Freunde und ihre Eltern, die sich gegenseitig unterstützten. Ich hatte einen engagierten Schulleiter, die sich eingemischt haben. Ich hatte Menschen, die diese Ungerechtigkeit nicht akzeptiert haben und gesagt haben, dass jedes Kind Potenziale hat, dass jedes Kind Talente hat. Ich habe in diesen Tagen etwas gelernt, das mich sehr mit Hamborn und Obermarxloh verbindet. Die Menschen hier sind kämpferisch. Sie geben nicht auf. Sie schaffen sich Perspektiven in einer perspektivlosen Situation. Sie tragen ein Wissen in sich, das man in der Schule nicht lernt. Ich habe gesehen, was man schaffen kann, wenn man zusammenhält.
Ich habe natürlich nicht aufgehört zu schreiben. Jeden Tag habe ich alles aufgeschrieben, was mich beschäftige. Mal mit Wut, aber immer mit viel Humor. Und irgendwann, da wurde mein Kindheitstraum war. 25 Jahre später hielt ich es endlich in meinen Händen – mein eigenes Buch! 225 Seiten, echte Geschichten aus Hamborn und Obermarxloh. Und glaubt mir, liebe Schülerinnen und Schüler, der Moment, wo ich dieses Buch das erste Mal in den Händen hielt – wallah, das war richtig geil!
Ich habe euch ein Exemplar meines Buches als Geschenk an eure Schule mitgebracht und möchte euch abschließend noch folgendes mit auf den Weg geben:
Es wird immer Leute geben, die euch runterziehen wollen und euch etwas anderes einreden werden. Manchmal sind es die Nachbarn. Manchmal sind es die besten Freunde. Manchmal sind es die eigenen Lehrerinnen und Lehrer oder auch – die eigenen Eltern. (Bei mir waren es übrigens immer Politiker.)
Jeder von euch hat Ziele und jeder von euch hat Träume. Lasst euch von euren Zielen nicht abbringen. Haltet eure Träume immer vor Augen! Unterstützt euch gegenseitig. Ihr habt alle einzigartige Talente und Potenziale, die nur ihr auf der Welt habt. Unsere Gesellschaft braucht euch! Wir brauchen eure frechen und ausgefallen Ideen. Ihr seid diejenigen, die unsere Gesellschaft von morgen heute gestalten.
Ich wünsche euch viel Spaß beim gemeinsamen Lernen. Ich wünsche euch viel Kraft, Geduld und Ausdauer. Ich wünsche euch, dass eure Träume in Erfüllung gehen. Und vor allem wünsche ich euch für eure Zukunft das aller- allerbeste – Glück auf!